P. Roberts: The European Antarctic

Title
The European Antarctic. Science and Strategy in Scandinavia and the British Empire


Author(s)
Roberts, Peder
Series
Palgrave Studies in Cultural and Intellectual History
Published
Basingstoke 2011: Palgrave Macmillan
Extent
265 S.
Price
€ 70,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Pascal Schillings. a.r.t.e.s. Forschungsschule, Universität zu Köln

Sein Verlag bewirbt Peder Roberts’ Buch mit dem Verweis darauf, dass es sich dabei um die erste transnationale Studie zum britischen, norwegischen und schwedischen Engagement in der Antarktis handle.1 Ebenso verweist der Autor in der Einleitung darauf, dass es sich um eine teils transnational, teils vergleichend angelegte Untersuchung handle und fügt etwas überrascht hinzu, dass es verwundere, dass zu einer Weltregion, die aufgrund des Antarktisvertrags der internationalen Wissenschaft vorbehalten bleiben soll, kaum transnationale Studien vorliegen. Tatsächlich reproduzierte die Forschung in ihren Analyseperspektiven bislang weitgehend die zeitgenössisch national aufgeladene Rhetorik der Antarktisexploration. So erklärte zuletzt Edward Larson, Autor einer Studie über die Antarktisexploration zu Beginn des 20. Jahrhunderts, seinen Großbritannienfokus damit, dass diese eben weitestgehend ein britisches Projekt gewesen sei.2

Die Auswahl Norwegens, Schwedens und Großbritanniens erkläre sich aus den vielfältigen Verflechtungen personeller, institutioneller und staatlicher Art zwischen diesen Nationen. Roberts’ Ziel ist nicht eine Geschichte der Polarforschung für die Antarktis zu schreiben3, sondern Wissenschaft lediglich als Fenster zu nutzen, durch das soziale, politische und wirtschaftliche Wirkkräfte ebenso sichtbar würden wie die antarktische Topographie. Die Antarktis gerät damit zur Leinwand, auf die europäische Werte, Träume und Ängste projiziert würden. Diese Ausführungen legen bereits nahe, dass es Roberts eher um in Europa situierte Planungen und Aktivitäten als die tatsächliche explorative Tätigkeit geht. In sieben Kapiteln verfolgt er schwedische, norwegische und britische Wissenschaftler, wissenschaftliche Institute und Kommissionen und Walfangmagnaten und ihre Verflechtungen untereinander und mit staatlichen Stellen.

Roberts’ Studie setzt 1911 und damit gegen Ende des sogenannten Heroischen Zeitalters der europäischen Antarktisexploration ein mit den Plänen des schwedischen Expeditionsleiters Otto Nordenskjöld in anglo-schwedischer Kooperation eine auf fünf Jahre angelegte antarktische Forschungsstation einzurichten. Diesen Zeitpunkt identifiziert Roberts als Zäsur, da von nun an der Walfang zur Hauptantriebsfeder der wissenschaftlichen Erschließung der Antarktis geworden sei. Die schwedischen wirtschaftlichen Interessen eher geringschätzend4, identifiziert Roberts in dem Projekt vor allem zwei aufeinandertreffende Motivkomplexe: Auf der einen Seite den Versuch an eine nationale Tradition schwedischer Antarktisexploration anzuschließen, auf der anderen Seite die britische Strategie, Wissenschaft in den Dienst kolonialen Ressourcenmanagements zu stellen. Letzteres führte nach Roberts auch letztlich zum Scheitern des Plans: Mit Beginn des Weltkriegs wurde in Großbritannien die ökonomische Ausbeutung der Antarktis auf die nationale Interessenebene gehoben.

In Fortsetzung dieser britischen Linie beschreibt Roberts in seinem zweiten Kapitel die Einrichtung und Aktivitäten des britischen Discovery Committee (ab 1923), dessen Aufgabe war, den Walfang auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen. In diesem Sinne wurde die durch wissenschaftliche Erforschung ermöglichte Kontrolle der Wale zum Teil eines lukrativen und ambitionierten imperialen Staatsprojekts. Während die Arbeiten der Kommission einen Wandel in der britischen Polarforschung – von der heroischen Exploration zum Expertenwissen – andeuteten, wurden ihre Ergebnisse durch norwegische Walfangunternehmungen gefährdet: Die Kommission arbeitete eng mit den subantarktischen Walfangstationen zusammen, doch norwegische Walfänger setzten in den 1920er Jahren mehr und mehr Fangschiffe ein, welche die Verarbeitung der Wale auf hoher See ermöglichten, so dass eine statistische Kontrolle ausblieb. Zudem, so Roberts, entwickelte sich die britische Antarktispolitik im Laufe der 1920er Jahre weg von der Regulierung der Walpopulation und hin zur Annexion neuer Territorien. Trotzdem blieb im britischen Vorgehen die Verknüpfung wissenschaftlicher Aktivitäten mit Souveränitätsansprüchen und imperialer Entwicklungspolitik wichtig.

Im Gegensatz zum starken Engagement des britischen Staates in der Antarktis präsentiert Roberts anschließend die relative Abwesenheit des norwegischen Staats aus südpolaren Angelegenheiten, die nichtstaatlichen Akteuren, wie dem Walfangmagnaten Lars Christiansen, Handlungsfelder eröffnet hätte. An dessen Beispiel demonstriert Roberts den Wandel vom Bevollmächtigen Großbritanniens hin zum aggressiven Patrioten in Norwegen während der Zwischenkriegszeit. Selbstverständlich spielte auch dabei die Verknüpfung von Wissenschaft, Wirtschaft und nationalen Ansprüchen eine wichtige Rolle. Während Christiansen zunächst noch britische wissenschaftliche Unternehmungen in der Antarktis unterstützte, verband er in der Norvegia-Expedition von 1928 privatwirtschaftliche und nationale Interessen, indem seine Landung auf der Bouvetinsel in Norwegen nicht nur als Erschließung neuer Walgründe, sondern auch als patriotischer Akt gedeutet wurde.

Im Gegensatz zu Larsen als in erster Linie wirtschaftlich motiviertem Akteur, der die Wissenschaft vor allem als Legitimation für seine Walfangunternehmungen instrumentalisierte, widmet Roberts das nächste Kapitel dem Scott Polar Research Institute in Cambridge und seinen wichtigsten Protagonisten, Frank Debenham, Raymond Priestley und James Wordie. Mit der Institutionalisierung der Polarforschung und ihrer Angliederung an die Universität ging allerdings zunächst keine Verwissenschaftlichung einher – vielmehr etablierten die polarerfahrenen Köpfe des Instituts eine Explorationskultur, innerhalb derer wissenschaftliche Ziele Sport und Abenteuergeist eher ergänzten als ersetzten. Dementsprechend wurden die vor allem in Richtung der Arktis unternommenen Expeditionen in erster Linie als charakterbildend gedacht.

Den Wandel hin zur wissenschaftlichen Spezialisierung der Polarforschung verortet Roberts im schwedischen Glaziologen Hans Ahlmann, der das Bild der modernen Polarforschung geprägt habe. Erstens habe Ahlmann mit der Nutzung quantitativer geophysikalischer Methoden in der Gletscherforschung ein hohes Maß an Spezialisierung in die Polarforschung eingeführt, das einen Bruch mit dem vermeintlichen Abenteurertum des heroischen Zeitalters bedeutet habe. Zudem führte Ahlmanns Beschäftigung mit Gletschern ihn zu globalen Dynamiken und schließlich zukunftsweisenden Problemen der Klimaforschung. Zweitens machte Ahlmanns Insistieren auf der Bedeutung internationaler Kooperation seine Pläne zum Vorbild für die nachfolgenden großangelegten südpolaren Forschungsaktivitäten, wie beispielsweise dem Internationalen Polarjahr 1957/58.5 So entstand nach Ahlmanns Plänen die Norwegisch-Britisch-Schwedische Antarktis Expedition (1949-1952), die – trotz impliziter geopolitischer Erwägungen – in ihrer Rhetorik als apolitische internationale wissenschaftliche Kooperation erschien. Neben ihrem Vorbildcharakter wurde diese Expedition auch als Endpunkt bedeutsam, indem sie die letzte Gelegenheit markierte, zu der Antarktisexploration unter europäischer Führung stattfand, bevor die geopolitischen Konstellationen des Kalten Kriegs die wissenschaftspolitischen Konkurrenzen in der Antarktis verschob.

Peder Roberts Buch ist eine – auf schmalem Raum – äußerst detailreich recherchierte und ausgeführte Studie zu den Verflechtungen von Polarwissenschaft, Wirtschaft, imperialen und nationalen Interessen im 20. Jahrhundert. Warum er mit seiner Argumentation nicht einige Jahre früher einsetzt und beispielsweise die nationale Bedeutung der Polarexpeditionen Nansens und Amundsens für Norwegen – letztere auch in der Konfliktsituation mit Großbritannien – mit einbezieht, bleibt unklar. Zudem bleibt eine tiefgreifendere Erörterung der transnationalen Verflechtungen oder Vergleiche weitgehend aus – letztlich sei antarktische Polarwissenschaft immer zugleich eine geopolitische Performance und Abbild der jeweiligen kulturellen und politischen Kontexte gewesen. Nichtsdestotrotz überzeugt das Buch durch seine immense Kenntnistiefe und den für Polargeschichte noch nicht etablierten Blick über nationale Grenzen hinaus.

Notes:
1 Vgl. <http://www.palgrave.com/products/title.aspx?pid=514193> (27.04.2012).
2 Vgl. Edward Larson, An Empire of Ice. Scott, Shackleton, and the Heroic Age of Antarctic Science, London 2011.
3 Diese liegt ohnehin seit Jahren vor: Vgl. Fogg, Gordon, A History of Antarctic Science, Cambridge 1992.
4 Obwohl sich die schwedische Initiative nicht zuletzt aus einer Kooperation Nordenskjölds mit schwedischen Geschäftsleuten ergab, die sich über die anvisierte Forschungsstation eine Walfangkonzession in britischem Herrschaftsraum erhofften.
5 Vgl. dazu z.B. Roger Launius /James Rodger Fleming/ David DeVorkin (Hrsg.), Globalizing Polar Science. Reconsidering the International Polar and Geophysical Years, Baskingstoke 2010.

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Published on
20.07.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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